Fünfzehn Jahre nach dem Auslaufen des internationalen Patents für FDM (Fused Deposition Modeling) 3D-Drucker hat eine technologische Renaissance das Design und die Fertigung in aller Stille neu gestaltet. Was einst eine Neuheit war, ist heute zu einem vielseitigen Werkzeug gereift, das sowohl von großen Unternehmen als auch von einzelnen Kreativen genutzt wird. Dieser Wandel hat nicht nur neue Produktionsmethoden eingeführt, sondern auch den Geist der Handwerkskunst wiederbelebt, der in einer von der Massenproduktion beherrschten Welt zu schwinden schien.

In dieser Ausgabe der „Prusa Story“ stellen wir Shin-Kougeisha vor, ein Designerkollektiv, das digitale Fertigungstechnologien wie den 3D-Druck in sein Produktdesign und seine Herstellungsprozesse integriert. Wie der Name schon sagt, ist Shin-Kougeisha tief in der traditionellen Handwerkskunst verwurzelt, geht aber mit einer ausgesprochen modernen Sensibilität an diese heran. Ihre Arbeit, die akribische Handwerkskunst mit einer klaren philosophischen Vision verbindet, hat für ihre innovativen und hochwertigen Kreationen Aufmerksamkeit erregt. Unsere Drucker sind ein integraler Bestandteil ihres Herstellungsprozesses, der 3D-Druck in höchster Qualität erfordert.

Um einen tieferen Einblick in ihre Arbeit zu erhalten, besuchten wir den „Shin-Kougeisha New Product Reservation Sale 2024 Summer“, der vom 28. Juni bis zum 14. Juli 2024 in der SHUTL-Galerie in Ginza, Tokio, stattfand. Dort trafen wir uns mit Hiroshi Mitachi, dem Gründer und der treibenden Kraft der Gruppe, der uns von seinem Weg und seiner Vision erzählte, die beide von der Open-Source-Kultur rund um den 3D-Druck geprägt wurden.

„Tilde“: Die Unvollkommenheiten des FDM 3D-Drucks in Kunst verwandeln

Nach seinem Designstudium am Kyoto Institute of Technology und dessen Graduiertenschule arbeitete Mitachi als Produktdesigner für einen großen Hersteller. Später wechselte er zu YOKOITO, einem in Kyoto ansässigen Unternehmen, das auf 3D-Drucklösungen spezialisiert ist, und leitete dort die Designabteilung. Während er beruflich ausgiebig mit 3D-Druckern arbeitete, verfolgte er auch unabhängige Projekte, die zur Schaffung der „Tilde“-Serie führten.

Die „Tilde“-Serie zeichnet sich durch eine Textur aus, die an eine Strickerei erinnert. Das ist eine deutliche Abkehr von den üblichen glatten, polierten Oberflächen, die man im modernen Design erwartet. FDM-3D-Drucker, die Objekte Schicht für Schicht aufbauen, hinterlassen in der Regel sichtbare Linien, die oft als Makel angesehen werden. Aber Mitachi sah in diesen Unvollkommenheiten Potenzial. Er entwickelte eine Technik namens „Woven Layering“, die den Weg des Druckers und das Volumen der Extrusion sorgfältig steuert und diese Linien in eine warme, organische Textur verwandelt, die das kalte, mechanische Aussehen, das man normalerweise mit dem 3D-Druck verbindet, in Frage stellt. Das Ergebnis? Eine Reihe von Alltagsgegenständen, von Vasen über Stifte bis hin zu Lampenschirmen, die Form und Funktion auf überraschende Weise miteinander verbinden.

Die Inspiration für diesen Ansatz kam von einer taktilen Erfahrung: die Haptik von Tatami-Matten, deren „Schlüpfrigkeit in einer Richtung“ ihn an die geschichtete Textur von FDM-Drucken erinnerte. Diese Verbindung brachte ihn dazu, den Prozess als eine Form des Webens zu betrachten. Anstatt nach höherer Präzision mit feineren Schichten zu streben, entschied er sich bewusst für dickere, ausgeprägtere Linien. Eine mutige Entscheidung, die sich auszahlte. Zunächst wurde ein Standard-Slicer verwendet, aber um die Nahtlinien zu beseitigen, an denen die Schichten beginnen und enden, wurde später von Ryo Kosaka, der zu Shin-Kougeisha kam, ein eigener G-Code-Generator entwickelt.

„Tilde entstand aus dem Wunsch, das, was normalerweise als Mangel angesehen wird – die sichtbaren Linien der Schichten – in etwas mit eigenem Charme zu verwandeln“, erklärt Mitachi. „Interessanterweise verbessert der dickere Schichtabstand auch die Produktivität. Das macht es zu einem Projekt, das den Prinzipien der Moderne entspricht, indem es Ästhetik mit Funktionalität verbindet.“

Die Serie „ANOMALO“: Die Faszination des Unvernünftigen

Shin-Kougeisha begann seine Reise im Jahr 2020 als ein Projekt innerhalb von YOKOITO und wurde später im Jahr 2023 zu einer unabhängigen LLC. Sie haben ihre Arbeit immer wieder auf Ausstellungen und Veranstaltungen präsentiert und dabei eine große Anhängerschaft für ihre Designphilosophie gewonnen, die auf der Idee der „neuen Handwerkskunst“ beruht. In ihrem Gründungsstatement heißt es: „Es ist möglich geworden, die eigene Sensibilität mit Maschinen und Phänomenen durch Computer zu synchronisieren und sich der Herausforderung zu stellen, etwas mit einem hohen Grad an Vollendung zu schaffen. Das ist so ähnlich, wie früher ein Handwerker seinen eigenen Brennofen hatte. Dies könnte der Beginn einer neuen Ära der Handwerkskunst sein.“ Indem die Gruppe 3D-Drucker als moderne Brennöfen betrachtete, führte sie ihre handwerkliche Herangehensweise an das Design dazu, die Designgeschichte zu erforschen.

Die Serie „ANOMALO“, die auf ihrer letzten Ausstellung vorgestellt wurde, verkörpert diese Erkundung. Mit ihren kräftigen Farben und absichtlich unausgewogenen geometrischen Formen umfasst die Serie funktionale Objekte wie Uhren und Radios, die traditionelle Vorstellungen von „gutem Design“ in Frage stellen. Die Produkte der Serie sind visuell verblüffend und entbehren der üblichen Rationalität, die man mit modernen Konsumgütern assoziiert, dennoch üben sie einen unbestreitbaren Reiz aus. Ihre Inspiration? Japans Produktboom in den 1970er und 80er Jahren.

„Die 1970er und 80er Jahre waren in Japan eine Zeit der explosiven Vielfalt im Produktdesign“, sagt Mitachi. „Es gab diese chaotischen Geräte, die mehrere Haushaltsfunktionen in einer einzigen, bizarren Form vereinten. Als die Massenproduktion die Produkte im Laufe der Zeit verfeinerte und rationalisierte, gingen wir zu einem rationaleren ‚guten Design‘ über. Aber diese Serie, benannt nach Anomalocaris – einer seltsamen Kreatur aus der kambrischen Explosion – erinnert an eine Zeit, bevor die Rationalisierung die Oberhand gewann.“

Während die heutige Technologie oft schlanke, modulare und auf Effizienz optimierte Designs bevorzugt, bieten 3D-Drucker die Freiheit, Objekte zu schaffen, die nicht unbedingt in diese Beschränkungen passen. Die „ANOMALO“ Serie ist eine Hommage an diese Freiheit und lässt die Art von überschwänglichem Design wieder aufleben, das einst in Japan florierte.

Mitachi merkt an: „Die meisten Uhren werden um die Form eines rechteckigen oder runden Moduls für das Uhrwerk herum entworfen, aber die ‚ANOMALO Clock‘ zerlegt das Uhrwerk und ordnet es in einer skulpturalen Form neu an, wodurch sich die Proportionen mit der Zeit deutlich verschieben. Bevor in den 70er und 80er Jahren die Verwendung von Modulen weit verbreitet war, entwarfen die Ingenieure auf der Ebene der Komponenten. Ich wurde von ihrer Leidenschaft und der kreativen Freiheit, die dieser Ansatz erlaubte, inspiriert.“

Die Serie „ANOMALO“, die im überschwänglichen Geist des Japans der 1970er und 80er Jahre wurzelt, stellt die Möglichkeiten des 3D-Drucks in der heutigen Welt neu vor, indem sie sich auf Designs stützt, die dem Ausdruck Vorrang vor strenger Funktionalität einräumen.

„M600“: Wo Dekoration auf Moderne trifft, geboren aus Wiens Vergangenheit

Während die „ANOMALO“-Serie auf die japanische Industriegeschichte zurückgreift, bezieht die „M600“-Serie ihre Inspiration aus Europa. Bei einer Reise nach Wien, Österreich, lernte Mitachi das Erbe der Wiener Moderne aus erster Hand kennen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stand die Stadt an der Spitze einer Entwicklung, die sich von den kunstvollen Designs, die von den Königen bevorzugt wurden, abwandte und sich auf erschwinglichere, funktionale Produkte für die Öffentlichkeit konzentrierte. Dieser Trend, der Effizienz und Zweckmäßigkeit betonte, wurde zu einem Eckpfeiler des modernistischen Designs.

„Als ich in den Museen Stücke der Wiener Moderne sah, war ich beeindruckt von der Ausgewogenheit zwischen Schlichtheit und subtiler Dekoration“, erinnert sich Mitachi. „Selbst bei scheinbar einfachen Designs hatten sie die Ornamentik nicht völlig aufgegeben. Der Stil, wiederholbare Muster in einfache geometrische Formen einzubauen, fühlte sich intuitiv kompatibel mit Computerdesign an. Das hat mich dazu gebracht, den Wert von Verzierungen zu überdenken, selbst im modernen Design.“

Mitachi stellte fest, dass die Ablehnung von Dekoration als verschwenderisch aus der Überzeugung herrührte, dass sie handwerkliches Geschick erfordere und daher unnötige Kosten verursache. Mit dem 3D-Druck jedoch erhöht das Hinzufügen dekorativer Elemente die Produktionskosten nicht wesentlich. Diese Erkenntnis führte zur Entwicklung der Serie „M600“, die minimalistische Formen mit komplizierten, digital erzeugten Mustern verbindet.

Ein herausragendes Stück der Serie ist der „M600 Stool Homage to Josef Hoffmann“, bei dem ein industrieller Aluminiumrahmen mit dekorativen 3D-gedruckten Paneelen kontrastiert wird. Die Paneele, obwohl rein ornamental, stehen in scharfem Kontrast zu dem utilitaristischen Rahmen und bieten einen subtilen Kommentar zum Verhältnis zwischen Funktion und Dekoration. Der Name der Serie, „M600“, ist eine Anspielung auf den G-Code für den Wechsel des Filaments, ein Detail, das denjenigen, die mit dem 3D-Druck vertraut sind, bekannt vorkommt.

Die Vergangenheit neu denken: Was wäre, wenn es 3D-Drucker schon vor 30 Jahren gegeben hätte?

Shin-Kougeisha hat sowohl im In- als auch im Ausland ausgestellt und dabei nicht nur die Aufmerksamkeit auf die visuelle Attraktivität ihrer Arbeit gelenkt, sondern auch auf die technologischen Möglichkeiten dahinter. Bei ihrer jüngsten Ausstellung haben sie mit Vorträgen und Textanzeigen die sich verändernde Einstellung zum Make hervorgehoben. Das vielleicht auffälligste Element der Ausstellung war ein nachgebauter Raum aus dem Metabolism-Architektur-Meisterwerk „Nakagin Capsule Tower Building“. Dieser Raum stellte „eine mögliche Vergangenheit“ vor, in der es 1985, als der Turm gebaut wurde, 3D-Drucker gab.

In dieser spekulativen Szene führt ein Macintosh-Computer G-Code-Befehle auf seiner CUI-Schnittstelle aus, während ein „Atom“ – der erste 3D-Drucker, den Mitachi im College benutzt hat – in der Nähe steht. Der Raum ist mit verschiedenen 3D-gedruckten Produkten gefüllt. Sie stellen sich eine Welt vor, in der diese Technologie bereits verfügbar war, als der Nakagin Capsule Tower noch in seiner Blütezeit war.

Rückblickend betrachtet wurden die Grundprinzipien des 3D-Drucks tatsächlich 1980 in Japan erfunden. Die Entwicklung der Technologie verzögerte sich jedoch, als ein amerikanisches Unternehmen sich das Patent sicherte, so dass sie erst 2009 auf breiter Front veröffentlicht wurde. Als das Patent schließlich auslief, entstand der Open-Source-3D-Drucker „RepRap“ und legte den Grundstein für die heutige florierende Maker-Gemeinschaft. Die Installation von Mitachi zeigt die Vision einer Zukunft, die 30 Jahre früher hätte kommen können.

„Als ich als Student zum ersten Mal mit einem 3D-Drucker in Berührung kam, war ich erstaunt, dass ich Objekte herstellen konnte, die ich vorher nur kaufen konnte“, sagt Mitachi. „Hätte sich die Idee, Kunststoffprodukte nicht nur zu kaufen und zu verwenden, sondern sie auch selbst zu verarbeiten, vor 30 Jahren durchgesetzt, sähe Japan heute vielleicht ganz anders aus.“

In einer Ecke des Raums zeigt ein Baumdiagramm die Entwicklung des RepRap-Ökosystems mit den vielen Variationen, die aus dem Prusa Mendel entstanden sind. Shin-Kougeisha setzt derzeit etwa acht Prusa 3D-Drucker und zehn Ender 3 Drucker ein, die für verschiedene Drucktechniken konfiguriert sind. Sie haben sogar einen Ender 3 mit einem Motor ausgestattet, der geschmolzenes Zinn extrudieren kann und damit die Grenzen dessen überschreitet, was Geräte für Verbraucher leisten können.

Vorwärts blicken: Handwerkskunst in einem digitalen Zeitalter

Als sich unser Gespräch dem Ende zuneigte, blickte Mitachi in die Zukunft und äußerte seine Hoffnung, dass junge Designer weiterhin die Schnittmenge zwischen traditionellem Handwerk und digitaler Technologie erforschen. Er stellt sich eine Zukunft vor, in der 3D-Drucker nicht nur Werkzeuge für die Massenproduktion sind, sondern Instrumente, die den Geist des Kunsthandwerks in das digitale Zeitalter tragen können. „Der Open-Source-Charakter dieser Maschinen gibt Designern ein noch nie dagewesenes Maß an Freiheit, um neue Ästhetiken zu schaffen und gleichzeitig die Vergangenheit zu ehren“, sagt er.

Die Arbeit von Shin-Kougeisha spiegelt dieses Ethos wider, indem sie die Weisheit des japanischen Design-Erbes mit den Möglichkeiten der Spitzentechnologie verbindet. Da sie die Grenzen dessen, was mit dem 3D-Druck möglich ist, immer weiter verschieben, fordert ihr Ansatz uns heraus, die Beziehung zwischen Kunst, Handwerk und Industrie in einer Welt, die zunehmend von digitalen Werkzeugen geprägt ist, neu zu überdenken.